Heuer hat es auch bei uns wieder mal ein bisschen mehr geregnet, glücklicherweise nicht im Übermaß. Zum temporären Bachlauf hinterm Haus hat‘s ein paar mal gereicht und der Hühnergarten ist richtig grün geworden - das ist so schnell gegangen, dass die Hühner gar nicht alles wegpicken konnten.
Vorkurzem habe ich einen Serienmarathon beendet und bin jetzt wieder verfügbar für andere Aufgaben, zum Beispiel die Webseitenpflege. Die letzen Wochen und Monate beherrschte „Orange Is the New Black“ meinen Stundenplan und ich habe mit exponentiell ansteigendem Zeitaufwand zugeschaut. Hat mir ziemlich gut gefallen, sonst wäre ich schon früher ausgestiegen.
Bei Büchern war ich ja bisher immer sehr diszipliniert: einmal angefangen und über die ersten 3 Seiten gekommen, wurde das Werk dann auch beendet. Mittlerweile kann ich auch nach 50 oder mehr als 100 Seiten noch Schluss machen, dabei denke ich an die viele Zeit, die dann für andere Bücher frei wird. Mein letztes war „Der Sympathisant“ von Viet Thanh Nguyen und da war mir nach den ersten 10 Zeilen schon klar, dass das was für mich ist. Begonnen hat es mit dem Abzug der Amerikaner aus Vietnam in den 70-ger Jahren und ich habe viele Parallelen zum aktuellen aus Afghanistan gefunden. Geschichte wiederholt sich immer wieder – schade, dass wir so wenig draus lernen.
Mit Stephan war ich im Sommer bei einem „Element of Crime“ Konzert. Diese Band begleitet meine persönliche Entwicklung seit über 30 Jahren und genießt mein vollstes Vertrauen, was Texte, Musik und öffentliches Auftreten betrifft. Sven Regener (der Sänger) schreibt zudem auch noch Bücher und liest sie vor, kann man alles bei Spotify nachhören. In „Der kleine Bruder“, Teil 44, beschreibt er das Kochen von Wasser und ich kann seitdem keinen Tee mehr machen, ohne an die Situation zu denken, in der ich das gehört habe.
Ich hab also den Wasserkessel, wo Proust die Madleine hatte, die einer seiner Anker in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ war. Seit Jahresanfang läuft davon die komplette Lesung in der ARD Audiothek, ich höre mir jeden Tag eine Folge an und lade sogar alle herunter. Ich betrachte das als kulturelle Altersvorsorge.
Ich mache mir schon Gedanken, wie mein älteres Ich leben wird. Eine Kreuzfahrt werde ich wohl eher nicht machen, lieber im Warmen und Trockenen sitzen und lesen. Radfahren, wenn ich fit bin und das Wetter passt. Nähen, wenn ich was neues zum Anziehen haben will. Gebrannte Mandeln machen, wenn ich was richtig süßes essen möchte. Eigentlich nichts anderes, als ich jetzt schon mache. Kommt mir gut vor.Und hier noch - weil's so schön war - ein Reisebericht:
Meine Elbe ist der Main
Ich fahre gern Rad entlang von Flüssen, weil ich ich zum einen nicht mit Karten oder Apps orientieren muss, der Fluss zeigt mir schon, wo‘s lang geht. Zum anderen ist das Profil eher entspannt, wenig Anstiege und auch kaum steile Abfahrten. Die heurige Radtour führte mich entlang des Mains von Würzburg bis Höchst, dann bin ich ein paar Kilometer mit dem Zug bis nach Rüdesheim und von dort aus dem Rhein entlang bis nach Koblenz. Die Rad-Zug-Kombi mag ich gern, weil der Radius damit doch erheblich erweitert wird, auch wenn man nicht so viel Zeit zur Verfügung hat.Nach Würzburg bin ich deswegen auch schon mit dem Zug gefahren und hab dort meine 101-jährige Patentante besucht. Übernachtet habe ich in Margetshöchheim bei sehr gastfreundlichen Menschen, die „warm showers“ anbieten – also eine Dusche und Schlafplatz für Radler. Wir sind selbst auch Gastgeber in diesem Netzwerk – und bei den Dachgebern des ADFC – und hatten heuer einige Radler zu Besuch, die diese Möglichkeit genutzt haben und uns mit Geschichten und Erfahrungen unterhalten haben.
Ich fahre ja am liebsten alleine und finde es schön, wenn ich abends bei jemandem bin und dort erzählen und zuhören kann. Für mich ist das ein wesentlicher Teil einer Radreise, hier habe ich bis jetzt immer tolle Leute getroffen, die ihr Haus für mich geöffnet haben. Meine zweite Übernachtung war in Wertheim in einem ehemaligen Schleusenwärterhaus. Bewohnt wurde es von einer WG-Familie mit erlesenem Geschmack, was sowohl den Wohnraum als auch das Essen betrifft. Da gab es für mich viel zu sehen und hören, entspannen und genießen.
Kurz vorher war ich mit Stephan auf dem „Element of Crime“-Konzert und das letzte Stück dort war 4 Stunden vor Elbe 1 und das hat mich irgendwie auf der ganzen Fahrt entlang des Mains begleitet (und sich auch jetzt beim Schreiben dieses Textes wieder im Hörgedächtnis festgesetzt). Am frühen Abend saß ich eine Weile an der Schleuse und habe das Lied ein paar Mal gehört, den Booten zugeschaut und mit vorgestellt, wo sie hinfahren.
Aschaffenburg war die nächste Zwischenstation und dort gab es dann auch ein paar Anstiege, was ja auch zum Standort einer Burg passt. Meine Gastgeberin versorgte mich mit vielen Infos zur Stadt und so konnte ich wieder eine Lerneinheit in Erdkunde/Geschichte/Sozialkunde absolvieren.
Einheimische sind eh die besten Reiseführer, dies habe ich am nächsten Tag in Höchst wieder mal erfahren. Vorher bin ich kreuz und quer durch Frankfurt geradelt, war unter anderem in der Paulskirche und habe den Albert-Mangelsdorff-Weiher entdeckt. Übernachtet habe ich in Höchst und war echt fasziniert von dieser Stadt, von deren Existenz ich bis dahin überhaupt nichts gewusst habe. Höchst war für mich bis dahin immer nur eine Tablettenfirma, jetzt verbinde ich damit swingtanzende Paare, die ich mit meinen Gastgebern am Mainufer in der warmen Sommernacht beobachten durfte.
Am nächsten Tag war ich dann zuerst mit dem Zug unterwegs und bin ab Rüdesheim das schon eindrucksvolle Rheintal bis Koblenz gefahren. Hier gab es große Burgen, steile Hänge und sogar Surfer auf dem Rhein, selbst das Wasser hat ganz anders ausgesehen als vorher der Main – irgendwie blau-grün. In Koblenz war abends die Vereidigung von Lina, Stephan ist mit dem Auto hingefahren und hat sie dann am nächsten Tag mit nach Hause genommen. Ich bin mit dem frühesten Zug heim, weil ich am Nachmittag wieder in die Arbeit musste.